Sie waren unter den Hauptdarstellern der einzige nicht-deutschsprachige Schauspieler, welche Erinnerungen an die Dreharbeiten in Österreich sind für Sie besonders präsent?
Grégoire Colin: Meine erste starke Erinnerung ist meine Ankunft in Wien, in dieser imposanten Stadt, in der ich noch nie zuvor gewesen war. Das Gefühl des Fremdseins hingegen war nicht allzu stark, da ich schon öfter mit nicht-französischen Regisseuren gearbeitet habe. Vor einigen Jahren z.B. mit Naomi Kawase und einem Team, das in erster Linie japanisch sprach. Dennoch lagen die Dinge bei SPANIEN etwas anders, da hier eine Herausforderung dazukam, der ich mich nie zuvor gestellt hatte: Nämlich in einer Sprache zu arbeiten, die ich nicht kannte und für die ich auch keine besondere Affinität empfand. Noch dazu mit der Auflage eines Akzents, der nicht meiner war – ich musste Deutsch mit moldawischem Akzent sprechen. Es war ein bisschen eine Reise ins Ungewisse, aber natürlich eine sehr interessante Arbeit – einerseits mit einem Coach, andererseits hatte mir jemand den Text auf Band gesprochen. Ich habe jedenfalls nie in meinem Leben, so intensiv an einem Text fürs Kino gearbeitet wie für SPANIEN.
Was hat Sie auf die Rolle neugierig gemacht? Die Figur des Sava oder auch die Filmsprache der Regisseurin, die Sie über ihren letzten Film Kurz davor ist es passiert entdecken konnten?
Grégoire Colin: Der Dokumentarfilm vermittelte eine starke Rigorosität in der Kadrierung und Inszenierung. Etwas sehr Spezielles, ziemlich Radikales und gleichzeitig hatte Anjas Filmsprache etwas sehr Exotisches für mich, das mich ansprach. Vor allem aber hat mich die Geschichte berührt. Ich fand das Drehbuch sehr intelligent mit der Geschichte dieser Frau, die über die Stimmen derer erzählt wird, denen sie im Alltag begegnet. Als ich das Drehbuch las, schrieb ich selbst gerade an einem Buch mit, wo die Frauenfigur vergleichbare Züge trug, umso mehr sprach mich das an. Und diese Art eines vielstimmigen Films hatte man mir noch nie wirklich angeboten, all das machte mich neugierig.
Es ist interessant, dass SPANIEN für Sie zum sprachlichen Abenteuer geworden ist, während Sie die erste Wahl für diese Rolle waren, weil Sie ein Schauspieler sind, der besonders stark durch seine physische Präsenz wahrgenommen wird.
Grégoire Colin: Ja das stimmt. Für einen Schauspieler ist es natürlich immer ein Vorteil, wenn man ein Wunschkandidat ist. Anja wollte wirklich sehr, dass ich in ihrem Film mitwirke, das lässt einen nicht gleichgültig. Für mich stand wirklich die Arbeit an der Sprache im Vordergrund. Was dann die anderen Aspekte der Schauspielarbeit betrifft, da schwingt ja beinahe etwas wie ein erotisches Moment mit. Da geht es um Linien, Körper, Bewegungen, für die man sensibel ist oder nicht. Und wenn man die Kamera auf jemanden richtet, dann muss man Lust haben, jemanden zu filmen. Das ist eine Art von liebender Geste. Manchmal begegnet man Menschen über ihre Filme und die Begegnung in der Wirklichkeit kann sehr enttäuschend verlaufen. Ich hoffe, für Anja war es nicht allzu enttäuschend. In der Regel setzt meine Arbeit immer ander Bewegung an. Als Ausgangspunkt erfinde ich etwas, wie ich in der entsprechenden Situation sein könnte. Es geht um ein Zusammenspiel von einer Art, seinen Blick auf die Dinge zu richten, zu sprechen und sich zu bewegen, damit der Zuschauer an die Figur glauben kann. Dieser kleinen Alchemie bedarf es einfach beim Versuch, eine Figur zu verkörpern. Wenn’s funktioniert ist es gut. Ich bemühe mich stets, nicht in die gleichen Mechanismen zu verfallen. Diese Versuchung liegt nahe, wenn etwas gut funktioniert hat und man mit ähnlichen Situationen konfrontiert ist. Wiederholung ist für einen Schauspieler naheliegend, wenn gewisse Emotionen erlebt werden. Mich reizt es, immer etwas neu zu erfinden, mich jedes Mal beinahe in einem anderen Körper zu finden.
Sava wird von Schleppern betrogen, er landet in Österreich statt in Spanien, er hat nichts und spricht die Sprache nicht, dennoch vermittelt er nie das Gefühl, ein Opfer zu sein. War dies ein Wesenszug, der Ihnen an der Figur gefallen hat?
Grégoire Colin: Ich hatte den Eindruck, dass die Erzählung deshalb so stimmig ist, weil sie zum Teil autobiografisch ist. Dimitré Dinev hat das erlebt und weiß, wovon er spricht. Das heißt jetzt nicht, dass es sich um eine autobiografische Geschichte handelt, aber Dimitré konnte für die Konstruktion der Figur des Sava aus dem Material seiner eigenen Geschichte schöpfen. Der Darsteller hat danach eine leichte Aufgabe, wenn die Dinge richtig und
stimmig daliegen, man braucht sie dann nur noch zu tragen.